Ein brisanter Bericht des Investigativportals Nordic Monitor erhebt schwerwiegende Vorwürfe gegen die türkische Regierung unter Präsident Recep Tayyip Erdoğan: Demnach soll Ankara über Jahre hinweg Gelder aus dem EU-Instrument für Heranführungshilfe (IPA) für verdeckte Spionagetätigkeiten in Europa verwendet haben. Insgesamt geht es um Hunderte Millionen Euro, die ursprünglich zur Unterstützung politischer und administrativer Reformen im Rahmen des türkischen EU-Beitrittsprozesses vorgesehen waren.
Der Bericht stützt sich auf vertrauliche Quellen sowie eine öffentlich gewordene parlamentarische Erklärung des türkischen Außenministers Hakan Fidan vom 16. Juni 2025. Fidan räumte ein, dass sein Ministerium zwischen 2014 und 2024 rund 339,9 Millionen Euro aus europäischen Fördertöpfen ausgegeben habe. Das türkische Innenministerium habe im selben Zeitraum 327,9 Millionen Euro erhalten und verwendet. Die offizielle Zweckbindung: «Unterstützung des institutionellen Wandels zur Annäherung an EU-Standards».
Doch Nordic Monitor enthüllt ein ganz anderes Bild: Teile dieser Summen sollen systematisch zur Finanzierung geheimdienstlicher Operationen in EU-Staaten umgeleitet worden sein. Ziel war offenbar die Überwachung türkischer Exilanten, die Spionage gegen europäische Institutionen sowie das Sammeln sensibler politischer und diplomatischer Informationen.
Um die Spuren der Umwidmung zu verwischen, wurde laut dem Bericht ein komplexes Netzwerk aus Scheinunternehmen und regierungsnahen Organisationen aufgebaut. Diese fungierten als «Fassade», um die tatsächlichen Verwendungen zu verschleiern. Die Unternehmen sollen gefälschte Rechnungen erstellt und manipulierte Buchhaltungsunterlagen geführt haben, um EU-Gelder als Projektfinanzierung im Rahmen des Beitrittsprozesses auszugeben.
Das Ausmaß der Vorwürfe ist alarmierend:
- Die verdeckten Operationen sollen nicht nur auf türkischem Boden, sondern innerhalb der EU stattgefunden haben.
- Es sollen auch europäische Diplomaten, die in der Türkei tätig waren, ins Visier geraten sein.
- Die eingesetzten Organisationen sollen dabei offiziell als NGO, Beratungsinstitute oder Bildungseinrichtungen agiert haben, deren tatsächliche Funktion habe jedoch in der Informationsbeschaffung und Einflussnahme gelegen.
Besonders kritisch: Ein Großteil der Mittel wurde demnach im Rahmen offizieller EU-Zusagen ausbezahlt. Die Türkei habe zwischen 2014 und 2024 rund vier Milliarden Euro erhalten, als Teil des insgesamt über zehn Milliarden Euro umfassenden IPA-Topfes. Für die Jahre 2021 bis 2027 seien sogar 14,32 Milliarden Euro für alle Beitrittskandidaten vorgesehen – ein erheblicher Teil davon auch für Ankara.
Die Enthüllungen des Nordic Monitor werfen nun ein grelles Licht auf die mangelnde Kontrolle der Mittelverwendung durch EU-Instanzen. Ob und wie die Kommission auf die neuen Vorwürfe reagieren wird, ist bislang unklar. In Brüssel regt sich bereits Kritik an der bisherigen Praxis der Mittelvergabe und -kontrolle im Rahmen der Heranführungshilfe.
Sollten sich die Berichte bestätigen, könnte dies weitreichende diplomatische Folgen haben. Experten fordern bereits eine sofortige Überprüfung aller Förderprogramme für die Türkei sowie eine Untersuchung durch unabhängige europäische Kontrollinstanzen.
Fazit: Der Skandal um die angebliche Spionagefinanzierung durch EU-Gelder wirft nicht nur ein Schlaglicht auf die autoritäre Entwicklung in der Türkei unter Erdoğan, sondern auch auf die verwundbare Struktur der europäischen Förderpolitik. Während Ankara den Beitrittsprozess offiziell weiterverfolgt, scheint man im Hintergrund ein paralleles System zur Einflussnahme und Überwachung in Europa aufgebaut zu haben – finanziert ausgerechnet mit den Mitteln der Europäischen Union selbst.
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